Biologieunterricht 2.0: Digitale Kreaturen im Klassenraum
Der folgende Bericht zeigt eine Möglichkeit, das Erschaffen digitaler Lebewesen durch Schüler im Rahmen einer Einheit in den Schulunterricht zu integrieren.
Von Marcus Lüpke
Um dieses Thema sinnbringend in den Unterricht einzubauen, wurde die Spielsoftware „Spore Labor Kreaturendesigner (Electronic Arts)" an schuleigenen Rechnern mit einer Schulklasse im Biologieunterricht genutzt. Mittels dieser Software lassen sich durch die Kombination von Beinen, Augen, Schädelformen und anderen Gliedmaßen sowie Detailinhalten comicartige, animierte Lebewesen erschaffen. Die grundsätzliche Aufgabe der Schüler bestand darin, eine bestimmte Gruppe von (Wirbel-)Tieren mit ihren jeweils besonderen artentypischen Eigenschaften in der Softwareumgebung zu erschaffen und einen Bezug zu Bewegungsformen, Ernährung oder der Angepasstheit an den jeweiligen Lebensraum herzustellen.
In idealer Weise lässt sich hier der Lehrstoff um eine weitere Sinn- und Lernperspektive erweitern. Das digitale Arbeiten soll hier nicht das übliche Er- oder Bearbeiten der Unterrichtsinhalte ersetzen, sondern erkenntnisgewinnend und motivierend ergänzen.
Lehrplanbezug
Die Unterrichtseinheit wurde in einem 6. Jahrgang im Fach Biologie durchgeführt. Im Fach Biologie werden derzeit nach gängigen Lehrplänen (Kerncurricula) beispielsweise folgende als schülerseitig zu vermittelnde Kompetenzen (Auszüge aus den Lehrplänen des Kultusministeriums Niedersachsen für Gymnasium, IGS, Oberstufe und Hauptschule, 2015) gefordert:
- Vergleichen der Anatomie und Morphologie von Organismen an einfachen Beispielen
- Ordnen nach vorgegebenen Kriterien
- Zeichnen einfacher Versuchsaufbauten sowie einfacher biologischer Strukturen
- Verwenden einfacher Struktur- und Funktionsmodelle auf makroskopischer Ebene
- Vergleichen von Strukturmodellen und Realobjekten
- Beschreiben des Zusammenhangs zwischen einfachen makroskopischen Strukturen von Organen und ihren Funktion
- Beschreiben der Tatsache, dass die Merkmale eines Individuums von Veranlagung und Umwelteinflüssen bestimmt werden
- Erläutern, dass Merkmale von Organismen zu ihrer spezifischen Lebensweise passen
- Nennen wichtiger Unterscheidungsmerkmale und Gemeinsamkeiten von Wirbeltiergruppen (Säugetiere – Vögel – Reptilien – Amphibien – Fische)
- Kriterienbezogenes Vergleichen von Lebewesen und Lebensvorgängen
- Bauen von Modellen nach Anleitung und Benennen der hervorgehobenen Merkmale
- Verwenden der Funktionsmodelle zur Erklärung biologischer Vorgänge
- Vergleichen von Modell und dem Realobjekt
- Beschreiben der Angepasstheit der Lebewesen an Jahreszeiten und Lebensraum
- Morphologische und anatomische Merkmale von Wirbeltierklassen sowie Individualentwicklung bei den verschiedenen Wirbeltierklassen
Quasi in allen Lehrplänen ist gefordert, dass Schülerinnen und Schüler wichtige Unterscheidungsmerkmale und Gemeinsamkeiten von Wirbeltierklassen nennen.
Das Erstellen eines digitalen Tiermodells, dieses am Bildschirm in Bewegung zu versetzen und in der Lerngruppe vorzustellen und zu besprechen geht über das im Fachlehrplan Biologie georderte Kompetenzmaß hinaus und verlangt von den Schülern zusätzlich auch Kompetenzen, die aus medienerzieherischer Sicht von Bedeutung sind. Exemplarisch seien im Folgenden aktuell geforderte Kompetenzen der Medienbildung oder –erziehung aus den Bundesländern Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen aufgelistet.
Medienpädagogische Erwartungen an Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 5 und 6
Kompetenzerwartungen der Medienbildung Niedersachsen
Niedersächsischer Bildungsserver (ormedien.nline.nibis.de)
- Schülerinnen und Schüler erarbeiten unter Anleitung gemeinsam Medienprodukte und präsentieren sie vor Mitschülerinnen und Mitschülern
- Schülerinnen und Schüler nutzen Standardfunktionen digitaler Medien
- Schülerinnen und Schüler erarbeiten unter Anleitung gemeinsam Medienprodukte und präsentieren sie vor Mitschülerinnen und Mitschülern
Medienpass NRW Stufe 3
Kompetenzerwartungen nach Klasse 6 (medienpass-nrw.de)
- Bedienen und Anwenden: Schülerinnen und Schüler kennen und nutzen Standardfunktionen digitaler Medien
- Produzieren und Präsentieren: Schülerinnen und Schüler erarbeiten und erstellen gemeinsam Medienprodukte und präsentieren sie vor Mitschülerinnen und Mitschülern
- Schülerinnen und Schüler diskutieren die Wirkung unterschiedlicher Gestaltungselemente (z. B. Farbe, Schrift, Bilder, Grafik, Musik, Kameraeinstellung etc.)
Exemplarisches Unterrichtsbeispiel „Dinosaurier"
Für die hier beschriebene Unterrichtseinheit haben die Schülerinnen und Schüler im Vorfeld der praktischen digitalen Arbeit spezielle Wissenskarten erhalten, auf denen neben einem Tier-Foto/einer Tier-Zeichnung auch einige morphologische Merkmale des Tieres (Größe, Länge, Gewicht, Nahrung etc.) dargestellt sind. Die Karten dienten einerseits der groben Orientierung, andererseits der Motivation und boten die Möglichkeit, die fertigen Arbeitsergebnisse miteinander zu vergleichen und in Bezug zu weiterführenden Inhalten oder Besprechungen zu setzen. Die Karten selbst lassen sich anhand einer Vorlage mit gängigen Officeprogrammen schnell selbst herstellen. Es können alternativ aber auch handelsübliche Quartettkarten genutzt werden. Während der Arbeit griffen die Schüler immer wieder auf im Klassenraum bereitgestelltes Zusatzmaterial (z.B. die bekannten Bücher aus der „Was ist Was-Reihe" des Tesloff Verlag) zurück, um Fakten und ergänzende Informationen zu sammeln. Wir haben i.d.R. auf die Internetrecherche verzichtet, da dies besonders bei jüngeren Schülern oftmals eine Überforderung darstellte. Ältere Schüler nutzten die Quelle Internet hingegen sehr effektiv zur Informationsbeschaffung (Vorstrukturierung durch die Vorgabe kindgerechter und redaktionell betreuter Suchmaschinen, wie Fragfinn.de oder blindekuh.de) und arbeiteten sehr interessante Fakten zu den von ihnen ausgesuchten Tieren heraus.
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Abbildung 1: Arbeitskarte "Elefant" |
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Abbildung 2: Arbeitskarte "Dinosaurier" |
Unterrichtsbeispiel: Dinosaurier im Jahrgang 5/6 im Fach Biologie
Thema - Phase | Zeit | Ziele | Medien/Interaktion |
Riesenknochen – Fundstücke aus der Urzeit | 45-90 Minuten | Hinführung zum Thema „Riesen der Urzeit"
Reaktivierung von Vorwissen |
Präparate, Bilder, Plakate Filmbeitrag MERLIN-Medien Interaktives Whiteboard |
Fossilien geben Hinweise auf die Lebensweise von Tieren | 45-90 Minuten | Anhand ausgewählter Dinosaurier erarbeiten die Schüler Fakten zu den Lebensverhältnissen der Tiere (Lebensraum, Nahrung, Bewegung) Reaktivierung von Vorwissen |
Präparate, Bilder, Plakate mit kurzen Info-Texten im Klassenraum fixieren Magnettafel Interaktives Whiteboard |
Archaeopteryx – Verwandtschaft von Vögeln und Reptilien | 45 Minuten | Erkennen der gemeinsamen Merkmale von Reptilien und Vögeln am Beispiel des Archaeoptryx Reaktivierung von Vorwissen |
Plakate/ Bildkarten Evtl. Exponat Interaktives Whiteboard Filmsequenz „MERLIN-Medien" |
Dinosaurier kennenlernen und zum Leben erwecken | 90 bis 135 Minuten |
Partnerweise Besprechung & Sichtung der Arbeitskarten |
Bildkarten/Quartettkarten Partnerweise ein PC mit dem Spore Labor Kreaturendesigner (Electronic Arts) |
Digitale Dinosaurier weisen bestimmte Merkmale auf | 90 Minuten | Schüler präsentieren ihre digitalen Arbeitsergebnisse und erläutern die wichtigsten morphologischen Merkmale und Gestaltungsentscheidungen | Interaktives Whiteboard oder PC-Beamer-Einheit (Einsatz der Spielsoftware) Vergleichende Bewertung der Arbeit mittels einfacher Bewertungsbögen (Würdigung) |
Einführung der Tierklassen | 90 Minuten | Vorstellung der Tiergruppen Säugetiere – Vögel – Amphibien – Reptilien – Insekten - Fische Erarbeitung der Reaktivierung von Vorwissen |
Bildkarten Tafel/Magnete Stuhlkreis |
Unterscheidungsmerkmale erarbeiten | 90 Minuten | Hauptunterscheidungsmerkmale dieser Tiergruppen in Kleingruppenarbeit (max. 3 Schüler) |
Flipchart/Folie/interaktives Whiteboard |
Museumsbesuch |
Unterrichtsgang in ein naturhistorisches Museum |
Sichtung der Tiergruppen, Sicherung der besprochenen Inhalte |
Kleingruppen |
Vorstellung der einzelnen Tiergruppen | 45 Minuten | Schülergruppen stellen in max. 5 Minuten ihre Arbeitsergebnisse vor |
Präsentation der Gruppenarbeit |
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Abbildung 3: Arbeitskarte "Weißer Hai" |
Möglichkeiten und Grenzen der Spielsoftware
Der Einsatz der digitalen Spielumgebung im edukativen Rahmen bietet, wie im Übrigen ein Großteil digitaler Medien, besondere Möglichkeiten, erreicht aber auch an bestimmten Punkten Grenzen. Dem kreativen Schaffen der Kinder ist hier grundsätzlich ein großer Spielraum gewährt. So lassen sich verschiedenste Augenarten, Schädelformen, Armglieder, Hand- und Fußvarianten sowie bestimmte Verzierungen und Extras wie Stacheln oder Flossen an den zu Beginn eher an eine Wurst erinnernden „Basiskörper" der zu erschaffenden Kreatur kombinieren. In Kombination mit schier unendlichen Möglichkeiten von Mustern, Oberflächenstrukturen und Farben wird hier ein großes Potential geboten. Orientiert man sich jedoch sehr genau am nachzustellenden Realobjekt, fehlen bei bestimmten Tierarten die artspezifischen Merkmale, die sich nicht digital in Kombination mit ihrer eigentlichen Funktion darstellen lassen (z.B. Elefantenrüssel). Kindern, die in diesem Rahmen arbeiten, ist sicherlich grundsätzlich bewusst, dass sie ein sehr abstraktes digitales Modell eines Lebewesens erschaffen. Dies können Kinder bei „ihren" Tieren häufig selbst schnell einordnen und entsprechend abgrenzen. Nichtsdestotrotz sollte man gerade bei jüngeren Kindern den Unterschied zum Realobjekt deutlich werden lassen, indem man (siehe Unterrichtsvorschlag) die Realfakten nicht aus den Augen verliert und deutlich in Bezug setzt. Wenn Schüler ihre digitalen Werke präsentieren, bemühen sie sich jedoch in der Regel, die Realfakten sehr deutlich herauszustellen, wodurch einerseits die Abstraktion deutlich wird, andererseits aber auch die intensive Auseinandersetzung mit Realfakten nicht vernachlässigt wird. Im Gegenteil kann die Abstraktion der Spielumgebung den gegenteilig positiven Effekt haben, dass die Kinder sich gerade deshalb noch mehr mit den Realfakten auseinandersetzen.
Am Beispiel des weißen Hais lässt sich dies verdeutlichen:
Artspezifische Besonderheit | Biologischer Zweck | Digitale Variante |
Helle Bauchunterseite, dunkle Körperoberseite | Tarnung beim Angriff auf Beutetiere | In digitaler Variante darstellbar |
Torpedoförmiger Körper | Schnelles und energiesparendes Schwimmen | In digitaler Variante darstellbar |
Großes Maul mit spitzen Zähnen | Nahrungsaufnahme (Fleischfresser) | In digitaler Variante darstellbar |
Bauchflossen und dreieckige Rückenflosse | Richtungssteuerung beim Schwimmen und unverkennbares Merkmal des Haies | In digitaler Variante darstellbar |
Senkrecht stehende Schwanzflosse | Fortbewegungsorgan, typisch für alle Fische (senkrechte Anordnung) | In digitaler Variante (schwierig) darstellbar |
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Abbildung 4: Schülerarbeit „weißer Hai“(Screenshot Spore Labor Kreaturendesigner) |
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Abbildung 5: Schülerarbeit „Krokodil“ (Screenshot Spore Labor Kreaturendesigner) |
Trotz dieser Einschränkungen lässt sich die ungemein große Motivation und das damit verbunden deutlich gesteigerte Interesse der Kinder am Thema positiv für die gesamte Unterrichtsarbeit nutzen.
Neben der Möglichkeit, eine Kreatur digital zum Leben zu erwecken, bietet die Software auch die Option, Fotos, animierte GIF-Grafikavatare oder kurze Videoclips anzufertigen. Dies ist in Bezug auf eine Vorstellung der Arbeitsergebnisse durch die Schüler enorm praktisch und trägt zu einer sehr spaßbetonten Präsentation bei.
Weitere unterrichtliche Begegnungsoptionen – Digitale Kreaturen im Religionsunterricht
In einer anderen Unterrichtseinheit, bei der es inhaltlich um die Verknüpfung religionspädagogischer Inhalte mit digitalen Medien ging, kam die Software ebenfalls zum Einsatz. Im Rahmen einer Unterrichtseinheit zum Thema „Verantwortung des Menschen in der Welt" in der Primarstufe (Jahrgang 4) wurde das Aussterben bedrohter Tierarten in einem Projekt thematisiert. In idealer Weise erstellten und präsentierten die Schüler in einem Einheitsabschnitt auch digitale Abbilder der im Unterricht besprochenen Tierarten (vgl. Kerncurriculum Grundschule Niedersachsen, www.nibis.de, 2016).
Folgende lt. WWF akut vom Aussterben bedrohte Tierarten waren in der Aufgabenstellung am PC zu erstellen: Meeresschildkröten, Krokodile, Menschenaffen, Wale/Delfine, Haie. Nashörner, Seeadler, Luchs, Löwe, Robbe, Eisbär, Braunbär.
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Abbildung 6: Vorlagen der Arbeitskarten für die im Text beschriebene religionspädagogische Einheit |
In Kombination mit weiterführenden Materialien, um unter anderem Steckbriefe der Tiere zu erstellen, Infotexte zu erschließen etc. ergab sich hier eine sehr effektive mehrperspektivische Betrachtung der Inhalte zum Thema „Bedrohte Tierarten". Die Krönung stellte natürlich das „Selbstgestalten" und präsentieren dar.
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Abbildung 7: Arbeitsauftrag "Steckbrieferstellung". Lesen - Steckbrief verfassen - digitales Krokodil erstellen. So einfach geht das! |
Wie ein Tier am Bildschirm entsteht – Der weiße Hai
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Abbildung 8: Der Start in die Kreativarbeit beginnt mit der Formung des Körpers über die Auswahl der Wirbelsäulensegmente und eine entsprechende Vergrößerung/Verkleinerung bzw. Positionsveränderung nach oben oder unten. |
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Abbildung 9: Der Hai nimmt Form an. Die verschiedenen Flossen, der typische Haikopf, Augen und die Schwanzflosse werden per Maus anmodelliert. |
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Abbildung 10: Ist das Modell fertig, bekommt es einen "Anstrich" aus Farbvarianten und Mustern, die sich in unendlicher Fülle kombinieren lassen. |
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Abbildung 11: Natürlich total unrealistisch, aber sehr lustig und spaßig ist das Animieren der Kreaturen in der "Arena". Hier können Bewegungen und Gemütszustände sowie Fotos und Videos erstellt werden. Tipp: Lustig wird es, wenn das Lebewesen durch einen Klick auf das Ei Nachwuchs erhält. |
Fazit:
Der Einsatz digitaler Medien im schulischen Kontext bietet eine unglaublich motivierende Ergänzung des Unterrichtsalltags mit einer großen Anzahl von weiterführenden Einsatzmöglichkeiten für die Schüler. Über das biologische oder sachunterrichtliche Faktenwissen hinaus konnten die Kinder an ihrem digitalen Tiermodell wertvolle medienerzieherische Kompetenzen aber auch religionspädagogische Inhalte entwickeln und schulen. Nichtsdestotrotz muss auch hier der digitale Lerninhalt sinnvoll mit dem herkömmlichen Unterricht verknüpft werden, damit der Einsatz der Spielsoftware über das Spielen hinausgeht und zum Wissenserwerb beiträgt.
Der Spore Labor Kreaturendesigner kann auf der Webseite www.spore.com kostenlos heruntergeladen werden.