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Medienabhängigkeit
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Medienabhängigkeit: Interview mit Andreas Pauly

Digitale Medien sind allgegenwärtig und immer verfügbar. Doch wo endet eine maßvolle Nutzung und wo beginnt Abhängigkeit?

Seit Juni 2018 ist „Computerspielsucht" eine anerkannte Krankheit. „update", die Bonner Fachstelle für Suchtprävention, Kinder-, Jugend- und Elternberatung von Caritas und Diakonie, hat sich diesem Thema schon 2010 angenommen und möchte hiermit eine Annäherung an dieses Phänomen geben.

Es wird häufig von einem übermäßigen Konsum gesprochen. Was ist denn nun eine Medienabhängigkeit? Welche Alarmsignale sollten Eltern wahrnehmen?
Pauly: In erster Linie sollte den Eltern klar sein, dass diese Spiele Spaß machen und das Gesprächsthema Nummer eins bei den Schülern zwischen 13 bis 16 Jahren sind. Wenn ich ein neues Spiel habe, dann möchte ich das auch intensiv spielen, damit ich mithalten, mich mit meinen Mitschülern messen oder einfach mal beim Zocken entspannen kann. Die Jugendlichen sind heute sehr eingespannt mit Schule und den Ansprüchen, die an sie gerichtet werden.
Warnsignale sind beispielsweise, wenn die Kids wichtige Bereiche wie Leistungen in der Schule oder ein früher geliebtes Hobby zugunsten des Spiels aufgeben und dann zunehmend aggressiv reagieren, wenn Eltern die Spielzeiten einschränken wollen. Solche Symptome sollten außerdem über einen längeren Zeitraum existieren.
Wir sprechen von einer Mediensucht, wenn eine exzessive und unkontrollierte Nutzung des Internets vorliegt. Die Merkmale der Internet- oder Medienabhängigkeit sind angelehnt an die Kriterien der stofflichen Abhängigkeitserkrankung: der Betroffene kann nicht mehr selbst steuern, wieviel Zeit er am Smartphone oder Computerspiel verbringt, die Gedanken drehen sich nur um die virtuellen Welten und die realen sozialen Kontakte und z.B. auch schon mal Körperhygiene werden vernachlässigt. Die Fachleute verstehen Medienabhängigkeit als stoffungebundene Sucht – auch Verhaltenssucht genannt - und setzten sich für eine diagnostische Zuordnung zu den Abhängigkeitserkrankungen ein, was in der Neuauflage der ICD-11 gelungen ist. Bei einer Verhaltenssucht werden keine bewusstseinsverändernden (psychotropen) Substanzen von außen zugeführt oder eingenommen. Der erstrebte, als Belohnung empfundene psychotrope Effekt, wie beispielsweise der Kick oder die erwünschte Entspannung stellt sich durch körpereigene, biochemische Veränderungen ein, die durch bestimmte exzessiv durchgeführte Verhaltensweisen ausgelöst werden (vgl. FVM, Let´s play, Mücken, 2013).

Betrifft die Computerspielsucht Mädchen wie Jungen gleichermaßen?
Pauly: Bei uns in der Beratung tauchen überwiegend Jungen oder die Eltern von Jungen auf.
Studien belegen aber, dass Mädchen deutlich öfter (7,1%) als Jungen (5,8% DAS der BZgA) eine pathologische Internetsucht zeigen. Die Mädchen tauchen eher in anderen Hilfekontexten wie psychologischen Praxen auf. Deshalb bieten wir geschlechtshomogene Präventionsangebote an, sich mit der Motivation zur Flucht in die virtuelle Welt auseinander zu setzen. Jungen zocken, weil sie Abenteuer erleben wollen und Mädchen erleben viel Bestätigung in der Selbstdarstellung in den Storys von Social Media. Das stellt eine hohe Faszination für die jeweiligen Nutzer dar und ermöglicht das Ausprobieren von virtuellen Alter ego, schnelle Erfolgserlebnisse und sich mit anderen zu messen. Dieses Verhalten variiert aber, mittlerweile zocken Mädchen auch und Jungs nutzen auch die Instant Messenger.

Was sollten Eltern tun, wenn sie glauben, dass ihr Kind keine Kontrolle mehr über sein Verhalten hat?
Pauly: Eltern denken oft nicht daran, dass die sozialen Medien, gut genutzt, durchaus positive Eigenschaften haben. Kinder müssen medienkompetent sein. Eine wertschätzende Haltung und ein hohes Interesse seitens der Eltern sind hier mit Sicherheit förderlicher als nur Verbote und Ablehnung zu zeigen.
Ich muss als Vater mit meinem Kind immer im Gespräch bleiben, was die Nutzungszeiten und die Motive der Mediennutzung betrifft, was dort gemacht wird und welche Informationen ich im Netz bereitwillig herausgebe.
Wenn die Eltern sich mit solchen Gesprächen oder das konsequente Einhalten von Medienzeiten überfordert oder unsicher fühlen, sollte man sich mit anderen Eltern absprechen und Tipps zur Medienerziehung holen. Dazu gibt es vielfältige Elternangebote. Viele Schulen bieten Elternabende, teils mit update, dem Medienzentrum Bonn oder auch mit der Initiative Lfm Eltern+Medien.
Sollte ich aber das Gefühl haben, das Kind hat Probleme, Medienzeiten einzuschränken oder gar einen Leidensdruck, dann kann ich eine Beratungsstelle aufsuchen und überprüfen lassen, ob es sich um ungesundes oder gar süchtiges Verhalten handelt. Dazu hat update eine offene Sprechstunde oder die Seite ins-netz-gehen.de der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bietet einen Online- Selbsttest an.

Andreas Pauly
Geb. 1974, lebt in Köln, verheiratet, vier Kinder, Diplom-Sozialpädagoge.
Seit 2010 ist er Projektkoordinator von RealLife, ein Angebot zur Förderung von Medienkompetenz bei „update – Fachstelle für Suchtprävention" in Bonn. Aktuell betreut er das Modellprojekt „Net-Piloten – Durchklick mit Durchblick" in Kooperation mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

„update - Fachstelle für Suchtprävention Caritas und Diakonie" in Bonn ist eine zentrale Anlaufstelle für alle suchtspezifischen Fragen im Kindes-, Jugend- und jungen Erwachsenenalter in Bonn. Die Präventions- und Hilfeangebote von update sind an den Bedarfen der Zielgruppen orientiert und auf den unterschiedlichen Ebenen der Prävention wirksam. update bietet jungen Menschen Unterstützung bei allen Fragen zum Thema „Mediensucht" oder exzessive Mediennutzung.

Konkrete Angebote zum Thema Mediensucht (www.suchthilfe-bonn.de)

  • Reallife- zweistündige Schulpräventionsworkshops, die sich mit dem Thema Mediensucht auseinandersetzen und den Schülerinnen und Schüler Impulse setzen, eine selbstverantwortliche und maßvolle Mediennutzung zu erlernen.
  • Elterninformationsabende mit dem Ziel Eltern an die Faszination und Vielfalt der Jugendmedienkultur heranzuführen, eigene Haltungen zu überprüfen und in ihrer Medienerziehung neue Ideen zu erhalten.
  • Reality adventure für Jungs: Gruppenangebot für exzessive PC-Spieler zwischen 12 und 18 Jahren. Die Reflexion der Mediennutzung und das Kennenlernen alternativer Handlungsweisen sind inhaltliche Schwerpunkte.
  • Net-Piloten –Durchklick mit Durchblick - Peerprojekt gegen Medienabhängigkeit: Net-Piloten sind Mädchen und Jungen der neunten Jahrgangsstufe aller Schulformen, die speziell geschult werden, um Mitschülern Informationen rund um Computerspiele und Internetangebote und zum verantwortungsvollen Umgang näher zu bringen.
  • Medien in der KITA/Grundschule –Veranstaltung für Multiplikatoren: Das Thema Medien macht vor der Kita und der Grundschule nicht Halt. Die Multiplikatoren-Veranstaltung sensibilisiert die Teilnehmenden für das Thema Medienkompetenz im Kindesalter. Im praktischen Teil wird vermittelt, welche Medien in den Entwicklungsphasen eines Kindes geeignet sind und welche Methoden eingesetzt werden können.
  • Net-Piloten-Elternseminar – „Handy, Instagram und Ego-Shooter – haben doch alle ...": Informationsreihe für Eltern zur Medienerziehung und zur Faszination virtueller Welten. Was ist gesunde Mediennutzung, welche Schutzfaktoren gegen Medienabhängigkeit gibt es?
  • Games-Eltern-Kind-Workshop in Kooperation mit dem Spieleratgeber NRW: In diesem Workshop für Kinder und Eltern besteht die Möglichkeit verschiedene Computerspiele zu erproben. Die Faszination und Ethik der virtuellen Spielewelt sowie maßvolle und exzessive Nutzung der Medien sind inhaltliche Schwerpunkte.