Viva Piñata: Chaos im Paradies



Spielbeschreibung:
Das britische Entwicklungsstudio Rare feierte unlängst seinen 30. Geburtstag. Insbesondere auf Nintendo-Konsolen machte sich Rare mit Titeln wie Jet Force Gemini oder der Banjo-Reihe einen Namen. Auch wenn der Glanz alter Tage in den 00er-Jahren langsam verblasste, landeten sie 2006 mit der Gartensimulation Viva Piñata einen viel beachteten Überraschungserfolg, der 2007 sogar mit dem Gütesiegel des Pädi ausgezeichnet wurde. Grund genug also 2008, mit Viva Piñata: Chaos im Paradies, einen Nachfolger ins Regal zu stellen.
Die Hintergrundgeschichte des vermeintlich paradiesischen Chaos' ist schnell erzählt: der komplette Piñata-Katalog - eine Art Lexikon - wurde bei einem Unfall formatiert. Nun gilt es als Gärtner_in und Tierpfleger_in, die über 100 Piñatas wiederzufinden und entsprechend zu katalogisieren. Dies gelingt jedoch nicht nur durch einfaches Suchen. Immer seltenere und damit kostbarere Piñatas können durch gelungene Gartenarbeit angelockt und im Gärtchen anschließend gepflegt werden. Neben der heimischen, immergrünen Gartenwelt, kann man die Piñatas auch in den beiden neuen Welten Wüste und Polar antreffen und für den eigenen Garten einfangen.
Pädagogische Beurteilung:
Kein „Kindergeburtstag"
Die erste Assoziation der Testergruppe beim Titel des Spiels wurde in vielfacher Hinsicht nur bedingt, genauer gesagt in nur einem Punkt erfüllt - ja, bei den kleinen Zuchttierchen handelt es sich um Piñatas, lebendige allerdings. Diese, zumindest auf den ersten Blick, kurios anmutende Tatsache, stellte wiederum die Gruppe vor einige W-Fragen: Warum, Wie, Was, Wo?
...and the answer is
Einige der gestellten Fragen wurden in einem Intro-Video beantwortet - nur leider auf Englisch. Zwar ist das Video mit deutscher Sprache untertitelt, allerdings ist die Schrift teils so klein, dass die Kinder weder dem Gesagten noch dem Geschriebenem folgen konnten. Die Hintergrundstory blieb somit im Verborgenen. Diese spielt zwar ohnehin eine eher untergeordnete Rolle, jedoch blieb den Tester_innen auch das grundlegende Spielprinzip zunächst verborgen.
Lies!
Das Prinzip wird jedoch im Verlauf durchaus erklärt - nur leider via Text. Bis auf wenige Ausnahmen, hatte die Gruppe allerdings, nach dem recht unverständlichen Intro, keinerlei Motivation, diesen auch zu lesen. Erschwerend kam noch hinzu, dass man im Spiel selbst keinen richtigen Avatar hat. Die vermeintliche Spielfigur ist ein Kreis - eine Art Reifen. Den Kindern fiel es sichtlich schwer, sich darauf einzulassen. „Was muss ich machen?" - diese Fragestellung blieb somit lange - eine gefühlte Ewigkeit - im Raum stehen. Nach etwa 10-15 Minuten Spielzeit kam die Erkenntnis, dass man vielleicht doch mal die Texte lesen sollte. „Ich muss also einen Samen finden, eine Loch buddeln, den Samen einpflanzen, gießen und düngen."
Geduld!
Geschrieben, gelesen, getan und weitere 30 Minuten später tauchte das erste Piñata auf. Die Reaktion darauf entsprach der ersten Assoziation: „Nö, schlagen geht nich...und jetzt?" Zu den fünf Aufgaben Suchen, Buddeln, Pflanzen, Düngen und Gießen gesellte sich die Pflege, sprich die Fütterung der Tiere. Alles Aufgaben, die Geduld fordern und benötigen. Geduld, die der Gruppe, nach etwas über 60 Minuten Spielzeit, größtenteils fehlte.
Testphase
Nun begann eine Phase des Ausprobierens und Herumstreifens. Ein kurzer Blick in die Polar- und Wüstenlandschaft, eine erneute Ernüchterung, da man hier eben keine „Schneeglöcken züchten" kann. Also zurück in den heimischen Garten. Dort erscheint wieder Leafos, eine Art ‚ZauberGartenFee'. Sie tritt in Erscheinung, um meist ausführliche und hilfreiche Tipps zu geben. Aber getreu dem Sprichwort „Undank ist der Welten Lohn", waren die Kinder wenig dankbar. Nach ihrem zweiten oder dritten Erscheinen entschieden sie sich vielmehr dafür, die ethischen Grenzen des Spiels auszuprobieren: Schaufel hoch und zuschlagen! Und anders als in vielen anderen Spielen, beispielsweise Kinectimals, zeigt das Spiel eine Reaktion auf diesen Affront. Leafos droht damit, die Schaufel an sich zu nehmen. „Schlag sie nochmal!" – es folgt eine erneute Drohung, dann erneut und erneut. Die Schaufel dürfen wir weiterhin behalten. Auch wenn das Prinzip leerer Drohungen teils frappierend an reelle Spielplatz-Szenarien erinnert, bleibt zumindest ein pädagogisches Fragezeichen.
„Man ist ein Kreis, der durch einen Garten läuft."
Die Herstellung eines funktionierenden Ökosystems geht nicht über Nacht. Nicht nur Hobbygärtner_innen dürfte das einleuchten. Wenn man bei der Planung des Gartens dann auch noch die Vorlieben und Bedürfnisse „süßer, aber echt komischer" Tiere im Auge behalten muss, wird es kompliziert. So kompliziert, dass Fans des Spiels eigens ein Online-Lexikon dafür schufen. Zu kompliziert für die Testergruppe? Durch die Bank war sich die Gruppe einig, dass der Titel nichts für Grundschulkinder ist. Weniger wegen der Gewalt - trotz der Schaufelattacken - sondern vielmehr aufgrund des Lesezwangs des Spiels, aufgrund seiner Komplexität, die in der Gruppenkonstellation während des Tests ein schier unüberwindbares Hindernis darstellte, aufgrund des fehlenden Avatars, aufgrund endlos lang erscheinender und nicht abbrechbarer Zwischensequenzen und wohl auch aufgrund enttäuschter Erwartungen. Das vermeintliche paradiesische Chaos war somit für den Großteil der Testergruppe nur Chaos, ohne Paradies.
Fazit:
Viva Piñata: Chaos im Paradies ist eine Art Endlos-Simulationsspiel. Viele Objekte und Piñatas werden durch Erfolge freigespielt. Interessiert man sich für die Thematik im Allgemeinen und bevorzugt ruhigere Spiele, kann der Titel auch bereits für Grundschulkinder ab etwa acht Jahren interessant sein. Alleine oder gemeinsam mit den Eltern lässt sich ein teils faszinierendes Ökosystem aufbauen und erkunden. In der Gruppe und vor allem ohne Themenbezug versprühte das Spiel jedoch wenig Faszinierendes.

„Warum bin ich ein Reifen?"
„Würdest du lesen, würdest du das Spiel auch verstehen!"
„Kann man eigentlich den Gartenzaun schrotten?"
„Das dümmste Spiel, dass ich je gespielt habe!"
„Das ist ja nur Gartenarbeit und das ist nicht so mein Ding."