S.T.A.L.K.E.R.: Shadow of Chernobyl
Spielbeschreibung:
"Stalker" kann zu Deutsch als "Jäger" oder "Weg-" bzw. "Pfadfinder" übersetzt werden. Im Spiel "S.T.A.L.K.E.R.: Shadow of Chernobyl" ist sicher eine Art bewaffneter Ortskundiger gemeint, der für Geld oder andere Entlohnung in Bereiche vordringt, in denen das Wissen um die Umgebung über Leben und Tod entscheidet.
S.T.A.L.K.E.R. basiert auf dem 1979 entstandenen gleichnamigen Film des russischen Regisseurs Andrei Tarkowski. "Stalker" erzählt eine aufregende Geschichte, und kommt hierbei, für einen Science Fiktion Film unüblich, ohne jegliche Spezialeffekte aus. Ort der Handlung ist ein nicht näher erläuterter Ort am Rande eines als "Zone" bekannten, abgesperrten Gebietes, in dem seltsame Dinge vor sich gehen. Warum das Gebiet nicht mehr betreten werden darf und was genau hier vor sich geht, bleibt im Film unklar, ist aber auch nicht von besonderer Wichtigkeit. Begleitet von einem Stalker als Fremdenführer, machen sich zwei Protagonisten auf die Reise in die Zone, um hier nach einem bestimmten Ort mit besonderen Fähigkeiten zu suchen. Je tiefer die Reisenden in die Zone vordringen, desto mehr wird klar, dass es die Reise selbst ist, die die Menschen zu beeinflussen scheint. Weltbilder verändern sich und Zweifel treten zu Tage, bis die Weggefährten schließlich erkennen müssen, dass ihnen der Ort den sie suchen nicht helfen kann ihre Probleme zu lösen. Das Besondere an "Stalker" dem Film ist die Art und Weise, wie hier die Handlung durch das photoästhetische Moment vorangetrieben wird. Minutenlange Plansequenzen betonen die Melancholie verfallener Industriebauten eines postapokalyptischen Szenarios. "Stalker" zeigt eine Welt, in der sich die Natur wieder die Überhand zurückerobert hat. Die Menschen, die in dieser Kulisse leben müssen, überkommt ein Gefühl der Hilflosigkeit, was zu einer ganz besonderen Art der Schicksalsgefügigkeit führt. Aufgrund der inhaltlichen Tiefe und seiner besonderen visuellen Auflösung wurde "Stalker" 2003 in den Filmkanon der Bundeszentrale für politische Bildung aufgenommen.
Das Spiel "S.T.A.L.K.E.R." bedient sich vieler visueller und narrativer Elemente des düsteren Szenarios aus der Filmvorlage. Allerdings ist die Handlung hier etwas konkreter. Ort des Geschehens ist eine Gegend nahe der "Zone", die nach einem Reaktorunglück in Tschernobyl nicht mehr betreten werden kann und von Militärs abgeriegelt wurde. Anders als in der realen Katastrophe kommt es in der Geschichte des Spiels gleich zweimal zu einem Supergau: Einmal im Jahr 1986 und ein weiteres Mal 2006. Durch diese zweite Explosion entsteht in der Welt von S.T.A.L.K.E.R. das besondere postapokalyptische Umfeld, welches als Bühne für die Handlung des Spiels bereitsteht. Die Gegend rund um Tschernobyl ist öde und leer. Auch an dieser Stelle greift das Spiel stellenweise die besondere futuristische Ästhetik des Films auf. Ganz im Gegensatz zur Celluloidvorlage streifen in der Welt von S.T.A.L.K.E.R. allerdings allerlei Mutanten und wilde Tiere umher. Außerdem finden sich überall Anomalien und seltsame Artefakte – durch Strahlung veränderte Gegenstände, die dem Träger besondere Fähigkeiten verleihen. Diese Kulisse aus verfallenen Fabrikgebäuden, verlassenen und mit Pflanzen überwucherten Bauernhöfen und weiten, kargen Landschaftszügen, betritt der Spieler in der Rolle des "The Marked One", einem Stalker. Eine Videosequenz zu Beginn des Spiels zeigt den Russen als einzigen Überlebenden eines LKW-Unglücks, welches er zwar überlebt, aber seitdem an Amnesie leidet. Herauszufinden, was man in der radioaktiv verseuchten Zone verloren hat, ist nun die Hauptaufgabe des Spielers, aus der sich nach und nach eine spannende und packende Geschichte entwickelt. Was an dieser Stelle jedoch nicht vergessen werden darf, ist, dass S.T.A.L.K.E.R. ein Shooter ist, in dem der Spieler im Wesentlichen die Aufgabe hat, Gegner zu verwunden und zu töten. Aus diesem Grund hat das Spiel in Deutschland auch keine Jugendfreigabe erhalten.
Pädagogische Beurteilung:
S.T.A.L.K.E.R. kommt auf den ersten Blick wie ein typischer Vertreter des Ego-Shooter Genres daher. Bewegung und Kampfhandlungen werden mit Maus und Tastatur gesteuert, und das Geschehen wird komplett aus der Ich-Perspektive wahrgenommen, was die Wirkung und die Atmosphäre, die die Landschaft ausstrahlt, von Begin an zusätzlich unterstreicht. Die Welt, in der sich "The Marked One" bewegt, ist sehr groß, offen angelegt und nicht linear, was dem Spieler von Begin an ein hohes Maß an Raumerfahrung suggeriert. Der Spieler kann sich frei bewegen un selbst entscheiden, wohin er als nächstes gehen möchte und welche Missionen er mit Priorität behandeln will. Trotz dieses Handlungsspielraumes gleitet die Geschichte nicht vom roten Faden ab. Früher oder später führt es den Spieler weiter fort in der eigentlichen Geschichte, ohne dass dieser sich andauern in kleineren Aufträgen und Plänkeleien verzettelt. Als Orientierungshilfe im Wirrwarr aus unterschiedlichen Orten und unzähligen kleineren Aufträgen dient ein PDA, ein Personal Digital Assistent. Via PDA kann der Spieler eine Landkarte aus Satellitenbildern der Umgebung einsehen, auf der z.B. alle wichtigen Orte verzeichnet sind. Zudem können hier aktuelle oder noch offene Missionsziele eingesehen, sowie ein Tage- bzw. Logbuch verwaltet werden. Auch Informationen zu Personen, die der Unbekannte im Verlauf des Spiels kennengelernt hat, wie diese heißen und wo sie sich aufhalten, können jederzeit abgerufen werden. In der Regel erhält man nämlich seine Aufträge von anderen Stalkern, die man z.B. in Stalker-Camps, Zeltlagern oder auf der Straße trifft. Diese Aufträge reichen vom Beschaffen besonderer Materialien (z.B. bestimmter Artefakte) über den Schutz von Personen bis hin zur Jagd auf Mutanten oder sogar andere Stalker. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass S.T.A.L.K.E.R. hier etwas vom gewohnten Genre des Ego-Shooters abweicht, indem es einige Rollenspielelemente mit in das Konzept aufnimmt. Personen müssen befragt, Kontakte gepflegt und Informationen beschafft werden, um als Stalker erfolgreich zu sein. Eines aber haben doch alle Aufträge gemeinsam: Nur der gewaltvolle Waffengang führt zum Ziel. Zur weitern Übersicht stellt das Spiel ein Inventar bereit, in dem alle Gegenstände, die der Protagonist bei und an sich trägt, organisiert werden können. Zunächst noch wild darauf los gesammelt, muss der Spieler später Prioritäten setzen, was er z.B. auf eine Mission mitnimmt, was er verkauft und was er gegen andere Dinge tauscht. Diese interaktive Komponente betont die narrative Ausrichtung des sonst eher aktionlastigen Shooters und bewirkt, dass der Spieler tiefer in die Geschichte eintauchen kann als bei denmeisten Genrekollegen.
Die Welt von S.T.A.L.K.E.R. wirk insgesamt sehr düster. Der Umgangston ist rau und Menschen sind nur Mittel zum Zweck und zudem entbehrlich. Hat ein Stalker etwas, das ein anderer haben will, kann es durchaus passieren, dass dieser ihn tötet und ausplündert. In der Postapokalypse ist kein Platz für Diplomatie oder gar Freundschaft. Einzige Ausnahme sind die Fraktionen. Zunächst neutral gesinnt, kann man auf die Unterstützung anderer Gruppenangehöriger bauen, wenn man sich einer Fraktion anschließt. Die Spielsituationen, in denen man tatsächlich Hilfe erfährt, sind jedoch selten. Das rechtliche und ethische Konzept in der Welt von S.T.A.L.K.E.R. kann somit auf die alte Floskel "fressen oder gefressen werden" reduziert werden. Wer nicht selbst Feinde tötet und ausplündert, hat in dieser Welt keine Überlebenschance. Es gilt das Recht des Stärkeren – sicherlich ein Konzept, das die ethischen und moralischen Ansichten von Kindern und Jugendlichen überfordert und deswegen in den Händen Minderjähriger auch nichts verloren hat. Ein weiterer Grund dafür, warum das Spiel keine Jugendfreigabe erhalten hat, ist sicher auf die zahlreichen Horrorelemente im Spiel zurückzuführen. Diese werden spätestens dann deutlich, wenn man zum ersten Mal einen der unterirdischen Bunker betritt. Einmal den Fuß in einen Bunker gesetzt, ist "The Marked One" noch von einer extreme Dunkelheit umgeben, deren ohnehin unheimliche Atmosphäre von Schreien und Stöhnen noch verstärkt wird. S.T.A.L.K.E.R. baut hier gekonnt eine sehr furchterregende Atmosphäre auf, die spätestens dann ihren Höhepunkt erreicht, wenn der Protagonist plötzlich und ohne Vorwarnung aus dem Dunkel von einem widerlich anzusehenden Mutanten angefallen wird. Diese Szenen wirken selbst auf horrorerfahrene Erwachsene höchst bedrohlich und erschreckend. Auch die Kämpfe, in denen Gegner verwundet oder getötet werden, sind mit Nachdruck als absolut ungeeignet für Kinder und Jugendliche einzustufen.
Dem zugegen gibt aber auch immer wieder Momente, in denen S.T.A.L.K.E.R. erkennen lässt, was es eigentlich ist: Eine Filmumsetzung. Die Grafik des Spiels ist solide aber vielgesichtig. Sich im Wind wiegende Bäume und am Himmel ziehende Wolken vermitteln ausschnitthaft ein authentisches Abbild der Realität. Ein Punkt aber ist besonders faszinierend: Wo andere Endside-Shooter wie Half Life 2 auf lineare Action setzen, gibt es in S.T.A.L.K.E.R. auch Momente, in denen die Zeit bleibt, die Bilder selbst wirken zu lassen. Viertelstündige Passagen, in denen weite Weizenfelder sich im Wind wiegen und das Lichtspiel über sich weit erstreckenden Industrielandschaften eine ganz eigene, beinahe künstlerische Ästhetik entfalten, platzieren dieses Spiel trotz der zum Teil hochexplosiven aber in der Regel moderat brutalen Actionsequenzen auf einem höheren Niveau als die meisten Vertreter dieses Genres.
Auf eine übermäßige Gewaltdarstellung wurde verzichtet. Dennoch: Oft ist es Aufgabe des Spielers, Gegner zu verwunden oder zu töten. Diese verlieren Blut und brechen in realistischen Posen zusammen – Eine Form der Gewaltdarstellung, die für Kinder und Jugendliche ungeeignet ist. Erwachsene müssen selbst entscheiden, ob sie mit dieser Form der expliziten Brutalität umgehen möchten. Faktisch wird in S.T.A.L.K.E.R nicht mehr gezeigt als in einem durchschnittlichen Horrorfilm. Ein größeres Problem für das Gemüt stellen da schon die zuvor erwähnten packenden und einschüchternden Horrorsequenzen dar. Untermalt wird das Ganze von einer sehr gezielt und dezent eingesetzten Musik, die sich gut in das Ambiente einfügt.
Fazit:
"S.T.A.L.K.E.R.: Shadow of Chernobyl" ist ein ungewöhnlicher Ego-Shooter mit einigen Rollenspiel-Elementen. Als amnesiebehafteter Abenteurer durch ein postapokalyptisches Terrain zu ziehen, ist eine ungewöhnliche Grundlage für eine spannende Geschichte die zu überzeugen weiß. Was sich zunächst als großes Plus darstellt, bedeutet aber auch, dass das Spiel für Kinder und Jugendliche keinesfalls geeignet ist. Die Welt von S.T.A.L.K.E.R. entsagt weitergehend jeglicher Moral und es herrscht das Gesetz des Stärkeren. Gewalt ist hier oft die einzige Lösungsoption. Das Verwunden und Töten von Gegnern gehört zum Tagesgeschäft eines Stalkers und auch die horrorhafte Stimmung des Spiels betont immer mehr die Tatsache, dass dieses Spiel nichts für Minderjährige ist. Erwachsene entscheiden selbst, ob sie sich dem aussetzen wollen, was S.T.A.L.K.E.R. ihnen bietet: Horror, Krieg aber auch viele ästhetische Bilder und eine vielgesichtige spannende Geschichte.