Die Siedler - Aufstieg eines Königreichs
Spielbeschreibung:
Gäbe es sie wirklich, diese Siedler, sie hätten in den letzten 15 Jahren schon ein ansehnliches Gemeinwesen errichten können. 1993 erschien die erste Version des Aufbau-Strategiespiels der Firma Blue Byte, damals noch für den Amiga, ein Jahr später für den PC. Dem folgten weitere Versionen, die sich zwischendurch, so in der Version 5 ("Die Siedler - Das Erbe der Könige" genannt) vom Liebenswert-comichaften in der Spielergemeinde gerne "Wuselfaktor" genannt, zum gestylten 3-D-Martialischen entwickelt hatten. So erhielt die 5. Version auch eine Altersfreigabe ab 12. Doch glücklicherweise hatte die – übrigens ursprünglich deutsche – Firma (2001 wurde Blue Byte von Ubisoft gekauft) ein Einsehen und fand mit der Version "Die Siedler II – Die nächste Generation" wieder zu der ursprünglichen "Knuddeloptik" zurück. Diese findet sich ebenso in "Die Siedler – Aufstieg eines Königreichs", auch wenn hier – anders als bei anderen Spielserien – der Komplexitätsgrad nicht erhöht, sondern erniedrigt wurde. Es scheint, als habe die Entwicklung dieses Spiels viele Kurven und Schleifen, sogar Rückschritte vollzogen.
Aber trotzdem gibt es einige Neuerungen (z.B. Klima und Jahreszeiten als Wirtschaftsfaktoren), doch die Spielidee ist die gleiche geblieben: Der Spieler führt ein "Volk" (es stehen verschiedene Völker zur Auswahl, deren Fähigkeiten und Vorlieben sich jedoch nur geringfügig unterscheiden) und muss ein funktionierendes Wirtschaftssystem in einem mittelalterlichen Szenario aufbauen. Dabei verteidigt er sich gegen Feinde und erobert, je nach Spielziel, selber Städte und Ländereien. Der Spieler startet als einfacher Ritter und kann, sofern er das Zeug dazu hat, in sechs Stufen zum Erzherzog aufsteigen. Das Wirtschaftssystem bestand in früheren Versionen oft aus drei Faktoren, so brauchte man Getreide und Wasser und konnte Brot backen lassen. In dieser Version sind die Schritte verkürzt und so entsteht- bäckertechnisch unmöglich – aus Getreide direkt Brot. Und – ganz so einfach ist es auch wieder nicht – haben die Siedler Bedürfnisse, die befriedigt werden wollen. Dieses Prinzip kennt man aus vielen anderen Aufbauspielen, erwähnt sei hier die Anno-Reihe.
Pädagogische Beurteilung:
Das Spiel bietet leider eine schwache Einführung ("Tutorial" genannt), in der viele Aspekte schlicht und einfach nicht oder zu knapp erklärt werden. In seiner Bedienung ist es zwar komplex, aber dennoch schnell zu erlernen. Insbesondere Spielerinnen und Spieler älterer Versionen werden sich schnell zurechtfinden. Eigentlich ist das Siedeln eine einsame Sache einer Gruppe, doch schon 1635 gab es die erste Abspaltung der ursprünglichen nordamerikanischen Siedler, die sich nur fünf Jahre zuvor in Boston (Sie erinnern sich sicherlich: die "Massachusetts Bay Colony") niedergelassen hatten. Auch diese zwei Gruppen waren nicht alleine ... kurz und gut ... es kann auch Siedlern passieren, dass sie trotz unendlicher Weiten (und hier hat das Spiel einen enormen grafischen Augenschmaus zu bieten mit Wüsten, Wäldern, Feldern und sogar Fjorden) nicht alleine sind. So auch im Spiel, das alleine spielbar ist, aber vor allem auch einen guten Mehrspielermodus für max. vier Spieler besitzt. Dann treten die menschlichen Spieler gegeneinander an und führen auch militärische Auseinandersetzungen (wenn man nicht von "Krieg" sprechen mag). In diesen Mehrspielerpartien kommen andere Taktiken zum Einsatz und die Wirtschaft eines Freundes zum Zusammenbrechen zu bringen, stellt noch einmal eine andere Motivation dar, als gegen einen Computergegner zu spielen.
Das Spiel besticht durch eine fantastische Grafik mit unzähligen liebevollen Details und einer insgesamt überzeugenden Optik. Häschen hoppeln – selbstverständlich ungefährlich – herum, Wölfe und Bären dagegen sollte man aus dem Wege gehen. Mit der Zoom-Funktion kann man sogar Schauspielern beim Üben zuschauen! Sie ist einfach liebenswert, diese Welt in miniatur! Sie beherrscht der Spieler mit der Maus und kann über ein Menü auf der rechten Seite Optionen auswählen und den einzelnen Figuren, Bauwerken, der Natur u.ä. zuordnen. Auf einer Karte am rechten unteren Rand erhält man einen Überblick über die bekannte Welt, den man durch Erkundungen stetig erweitern kann. Am oberen Rand wird angezeigt, über welche Ressourcen (Holz, Geld usw.) der Spieler verfügt. Die Figuren im Spiel zeigen an, wenn sie hungrig sind, frieren, schmutzig werden oder sich langweilen. All das gilt es im Blick zu behalten und zu managen.
Und es gibt immer etwas zu tun, schließlich will ein Gemeinwesen errichtet sein! "Die Siedler" sind – in fast allen Versionen – eines der Spiele, das man sich zu Beginn der Sommerferien kaufen sollte (wenn man keinen Wert auf Hautbräune legt). Die Zeit, die man mit diesem Spiel verbringen kann, ist enorm. Es kommt nie Langeweile auf, dauernd will etwas erledigt werden und ein paar Stunden vor dem Computer sind schnell vorbei. Und das, obwohl einige Spieltester den fehlenden Komplexitätsgrad gegenüber den Vorgänger-Versionen vermissten.
Für die Spezialisten: Der Transport der Ware entfällt, er wird von den Siedlern selbst erledigt, Gebäude sind viel schneller errichtet, die Nähe zu den Rohstoffen ist nicht mehr entscheidend und die Produktionsketten sind viel einfacher. Die Tatsache, dass die 16 Missionen der "Kampagne" (relativ) schnell gespielt sind und offenbar für erfahrene Spieler keine hohen Anforderungen darstellen, kann diese "Warnung" allerdings etwas entschärfen.
Das Spiel ist im wahrsten Sinne des Wortes verspielt. Im besten Sinne findet man hier ein Aufbau-Strategiespiel, dessen Atmosphäre vielleicht mit dem oben erwähnt "Wuselfaktor" am besten beschrieben ist. Die Figuren liebenswert, detailreich und der scheinbar notwendige kriegerische Aspekt beschränkt sich auf die Notwendigkeit, seine Welt zu verteidigen oder Eroberungen durchzuführen. Dies ist wohl auch historisch durchaus logisch, denkt man an mittelalterliche Kampfhandlungen. Auch hier ist das Spiel gegenüber den Vorgängern vereinfacht: Schwertkämpfer, Bogenschützen und Belagerungswaffen, dazu eine fast langweilige Computerverteidigung (so das Urteil der Testerinnen und Tester). Das Spiel besticht durch seine Aufbauleistung, nicht durch die kämpferischen Aspekte. Fast erscheint es politisch korrekt, wenn die Soldaten eingesetzt werden müssen um Terroristen, hier Banditengesindel genannt, zu vertreiben.
Wer dieses Spiel beherrscht, kann komplex denken, viele Handlungsstränge zeitnah koordinieren und vorausschauend planen. Gute Siedler-Spielerinnen und –Spieler wünschte man sich oftmals in der Chefetage deutscher DAX-Unternehmen. Von diesem Spiel geht zweifelsohne eine Faszination aus, das bestätigten alle Testerinnen und Tester, wenn man diese Art der Aufbau-Strategiespiele mag. Die Faszination beruht zum einen sicherlich auf der unendlich liebevollen Darstellung, den zahlreichen Handlungsmöglichkeiten und einer beruhigenden Allmacht. Es kann eigentlich nie langweilig werden, denn es gibt viele Hundert Details zu beachten und ständig sind Entscheidungen zu treffen. Klar, dass es verschiedene Wege zum Ziel gibt und damit vernetztes Denken, Planen und Erproben von Lösungswegen gefordert sind.
Leider versagen die Spieleentwickler (gibt es dort eigentlich nur Männer?) in einer wichtigen Frage für eine neue menschliche Ansiedlung (es sei daran erinnert, dass von 135 Siedlern im heutigen US-Staat Virginia im Jahre 1607 nur 33 Menschen das erste Jahr überlebten!): Frauen! Erstmals können Siedler auf Festen Frauen kennenlernen, die sie bei ihrer Arbeit unterstützen. Wie leider viel zu oft sind hier alle Klischees und Stereotypen bedient. Schade, auch wenn es den historischen Ereignissen nahe kommen mag.
Fazit:
Ein schönes jedoch sehr zeitintensives Aufbau-Strategiespiel für diejenigen, denen allzu langwierige, komplexe Einarbeitungen in Spiele nicht gefallen. Das Spiel hat faszinierende Darstellungen, bei denen sich ein Blick auf die Details lohnt. Die Herausforderungen und damit das Frustrisiko sind niedrig, dadurch macht das Spiel großen Spaß.